Demokratie und ihre Schwächen

Aus Quora:

Wenn Demokratie keine perfekte Staatsform ist, was müsste sich an ihr ändern damit sie es wäre? Was gibt es an ihr zu kritisieren?

  1. Demokratien sind rein quantitativ. Die Stimme eines IQ-70-Besitzers zählt genausoviel wie die eines IQ-140-Besitzers. Unberücksichtigt bleibt auch, welcher von beiden sich intensiver mit einem Thema beschäftigt hat und deshalb die qualifiziertere Entscheidung treffen kann.
  2. Demokratien erlauben keine Visionen. Jeder Visionär muss erst die Masse überzeugen, bevor er seine Vision (oder sie ihre) umsetzen kann. Als Apple den iPod vorstellte, war die journalistische Majorität der Meinung, dass es ein überteuertes Produkt sei, das sich nie durchsetzen würde – nach wenigen Jahren ist Apple Marktführer. Weltweit. Das gleiche mit iPhone und iPad, die jeweils ganze Märkte umkrempelten oder schufen. Apple hatte seine Barreserven, ein politischer Führer hat nur seine Wählerstimmen. Apple konnte seine Visionen so lange verfolgen, wie es selbst dies tun wollte. Ein politischer Führer (oder eine Führerin) kann dies nicht.
  3. Demokratien gestatten nur „billige“ Visionen. Nur wenn eine Vision den Massengeschmack trifft, hat sie eine Chance – aber dann ist sie dem Wortsinn nach keine Vision mehr, sondern die abgespeckte, abgeschmackte, abgetragene Version einer ehemaligen Vision – so wie jede Vision, die durch so viele Gremien geschleust wurde, bis sie endlich von allen abgenickt werden konnte. Es können also entweder nur rapide Visionen durchgesetzt werden (wie Hartz IV), ohne Zeit für eine effektive Nebenwirkungsabschätzung, oder so schale Visionen wie Merkel: einfach den Ist-Zustand so lange wie möglich erhalten.
  4. Demokratien folgen dem Massengeschmack. Die Masse liest Bild-„Zeitung“. Von dieser „Zeitung“ werden jeden Tag rund vier Millionen Exemplare gekauft – mehr als von den nächsten großen Tageszeitungen gemeinsam. Alle sind sich einig, dass Bild nicht das optimale Informationsmedium ist. Es unterschlägt Informationen, verzerrt sie, setzt falsche Akzente. Natürlich folgt die Lesermasse nicht blind der Bild-„Zeitung“, aber diese setzt die Stimmung und Themen – unabhängig von tatsächlichen Tatsachen. Politiker reagieren auf solche Stimmungen und Themenvorgaben mit Aktionismus, sonst wird ihnen ja „Nichtstun“ vorgeworfen – und sie wollen ja wiedergewählt werden.
  5. Parlamentarische Demokratien generieren Abnickgremien. Für jedes Gremium gilt das Qualifizierungskriterium (siehe Punkt 1). Deshalb werden Ausschüsse gebildet, in denen die (nur theoretisch) qualifiziertesten etwas beraten und dann übergeordneten Gremien Entscheidungsempfehlungen geben. Praktisch lehnt der Bundestag selbst die schwachsinnigsten Ausschussempfehlungen nicht ab. Aus Vernunft heraus werden also Untergruppen für Entscheidungen gebildet, sodass immer nur die kompetentesten etwas entscheiden. Praktisch handelt es sich aber um Menschen, die ihrer Macht ebenso erlegen wie alle anderen auch. Die in ihren kleineren Ausschüssen ihre eigenen Interessen schneller durchsetzen können als in großen Gremien. Und weniger kompetente Zeitgenossen haben keine Chance, dem entgegenzuwirken.
  6. Demokratie wird über Medien verwässert. All die Talkshows behaupten, eine Demokratie zu präsentieren, lassen aber nur Schlagzeilen gegeneinanderprallen. Eingeladen wird nur, wer gut und provokant formulieren kann – unabhängig von seiner Sachkompetenz auf einem Gebiet. Auch die anderen Medienbeiträge zur Politik oder Demokratie tendieren dazu, letztlich nur zu provozieren, zu polarisieren und zu polemisieren. Echte Meinungsbildung sieht anders aus – ist allerdings auch langweiliger.
  7. Demokratie nach europäischem Verständnis erlaubt keine Sanktionen oder effektiven Kontrollgremien. Abgeordnete des Bundestages können wider ihre eigene Überzeugung abstimmen, ohne direkt Konsequenzen zu befürchten. Die einzige Macht des Volkes geht von Wahlen aus, die in großen Abständen abgehalten werden – was im Widerspruch steht zu „Alle Macht geht vom Volke aus.“ Verantwortungen und Verantwortlichkeiten werden so lange zwischen den Gremien und den Vertretern darin hin- und hergeschoben, bis letztlich keiner mehr verantwortlich ist. Schuld ist immer das Volk, denn es „hätte ja anders wählen können“. Die Schuld wird auf alle Schultern verteilt, die Vorteile (Macht, Entscheidungsbefugnis) auf wenige.
  8. Demokratien wollen binär verstanden werden. Eine Entscheidung muss entweder so getroffen werden, wie sie vorgelegt wurde, oder abgelehnt. Es gibt kein „Ich stimme im Grundsatz zu, aber ein paar Aspekte müssen noch mal überdacht werden.“ Auf diese Weise entstehen nur Kompromisslösungen. Bereits bei der Wahl ist es kritisch, sich für eine Partei oder Person zu entscheiden, denn man stimmt selten zu mehr als 70 Prozent mit deren Ansichten überein (oft sogar mit deutlich weniger).
  9. Ein echter Dialog findet nicht statt. Weder wird der Souverän (das Volk) in die Entscheidungsfindung einbezogen noch wird er im Nachhinein von einer Entscheidung überzeugt. Und ich meine „überzeugt“ im Wortsinn, also nicht überreden, überrumpeln, übersimplifizieren, sondern den Souverän davon überzeugen, dass die Entscheidung sowohl in mittel- als auch langfristiger Hinsicht eine richtige Entscheidung war und er sich freuen kann, so kompetente Entscheidungsfinder gewählt zu haben. Aber solche Überzeugungsarbeit kostet Zeit.
  10. Demokratie erzeugt keine „Diener des Volkes“, sondern Machtausüber, Entscheider. Wer will es ihnen verdenken? Es sind nur Menschen. Das Ideal vom selbstlosen Diener des Volkes ist genauso eine Chimäre wie das Ideal des mündigen Bürgers. Damit scheitert jedes demokratische Ideal an ihren zwei Grundannahmen.

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